Partizipation von Menschen mit Migrationshintergrund innerhalb von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen

Streikende Frauen bei Pierburg/Neuss im August 1973, von: Schmidt/Wittenberg.

Ausstellungen, Zeitungsartikel, Festreden, Theaterinszenierungen, ein Kinofilm und sogar Denkmäler widmen sich in diesem Jahr insbesondere der Migration aus der Türkei und vor allem den Menschen, die in der Bundesrepublik geblieben sind. Hintergrund ist das 50-jährige Jubiläum der deutsch-türkischen Anwerbevereinbarung. In Festreden und Artikeln wird betont, wie sehr die MigrantInnen die bundesdeutsche Gesellschaft geprägt und verändert haben. Doch worin besteht dieser Wandel konkret? Nicht selten werden Veränderungen im Konsumverhalten genannt. Mit Pizza und Döner wurde demnach die Gesellschaft der Bundesrepublik verändert. Das politische und gewerkschaftliche Engagement, die Forderungen und der Protest der MigrantInnen gelten nur selten als Faktoren des Wandels.

Partizipation unter Vorbehalt

Die Anwerbung von Arbeitskräften im Ausland seit 1956 war vor allem bei der deutschen Arbeitnehmerschaft und damit auch bei den Gewerkschaften mit einigen Ängsten verbunden. So erklärte der DGB noch 1954, dass „keine Gewerkschaft eines Landes sich mit dem Hereinströmen von Arbeitskräften aus dem Ausland einverstanden erklären“ könne, „solange im eigenen Lande noch eine nicht unbeträchtliche Zahl von Arbeitnehmern arbeitslos ist oder Kurzarbeit leistet.“ Man sei deshalb davon überzeugt, „daß zumindest für absehbare Zeit der Einsatz ausländischer Arbeitskräfte in Deutschland nicht erforderlich ist“(Die Quelle 1955:37).

Trotz dieser klaren Ablehnung der Ausländerbeschäftigung nahm der DGB unmittelbar mit der ersten Anwerbung durch die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BAVAV) die Organisations- und Betreuungstätigkeit unter den MigrantInnen auf. Damit waren die Gewerkschaften die erste Organisation, die für sich in Anspruch nehmen konnte, die Interessen der MigrantInnen in der Bundesrepublik zu vertreten.

Für die meisten MigrantInnen waren die stark in das politische System integrierten und legal arbeitenden deutschen Gewerkschaften Neuland. Die gewerkschaftlichen Erfahrungen der MigrantInnen aus Spanien und Portugal kamen aus der Illegalität und aus dem Kampf gegen faschistische Diktaturen. Die MigrantInnen aus Griechenland waren teilweise im Bürgerkrieg aktiv gewesen und organisierten von Deutschland aus den Widerstand gegen die Militär-Junta, die sich seit 1967 gewaltsam an der Macht hielt. In der Türkei kämpften die Gewerkschaften um die Legalität und gegen staatliche Verfolgung. In Italien hingegen war die kommunistische Partei die zweitstärkste Fraktion im Parlament, und es wurde oft gestreikt.

Es ist also wenig verwunderlich, dass viele MigrantInnen ein anderes Verständnis von gewerkschaftlichem Engagement hatten als die Konzentration auf Tarifverhandlungen, bei denen die starke Verhandlungsmacht wenn nötig mit angekündigten Streiks unterstrichen wird. Die Betreuungs- und Beratungstätigkeit sowie die organisatorische Integration der MigrantInnen durch die Gewerkschaften diente deshalb auch zunächst weniger der tatsächlichen Interessenvertretung als vielmehr der Kontrolle.

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