Besetzte Fabrik in Argentinien zu Besuch in Berlin
Interview mit Raúl Godoy (Mai 2013)
Raúl Godoy ist einer der mehr als 400 ArbeiterInnen der Zanon-Fabrik, die auch unter dem Namen “FaSinPat” (“Fabrica sin Patrones”, “Fabrik ohne Chefs”) bekannt ist. Seit 2012 ist er auch Abgeordneter im Parlament der argentinischen Provinz Neuquén. Die Fragen stellte Wladek Flakin.
Wie begann die Geschichte von Zanon als selbstverwaltete Fabrik?
Unser erstes Gefecht bestand darin, unsere Gewerkschaft zurückzuerobern. die damals eine gelbe, also von Unternehmern “gekaufte”, war. Wir mussten uns konspirativ organisieren, konnten aber die Gewerkschaftswahlen gewinnen. Dann mussten wir alle KollegInnen davon überzeugen, dass wir ein Programm brauchen. Wir haben alles in der Vollversammlung diskutiert und entschieden. Wir haben nicht nur die festangestellten KeramikarbeiterInnen verteidigt, sondern auch die prekär Beschäftigten. Unsere neue Gewerkschaftsführung und alle Delegierten waren direkt gewählt und auch jederzeit abwählbar.
Wie kam es zur Betriebsbesetzung?
In der Krise 2001 wurde die Mehrheit der Belegschaft entlassen. Wir hatten die Wahl, entweder Abfindungen zu akzeptieren oder die Arbeitsplätze zu verteidigen. Die Vollversammlung hat schließlich die Öffnung der Geschäftsbücher verlangt, um zu beweisen, dass durchaus Geld vorhanden war. Es gab einen erfolgreichen 34-tägigen Streik. Die ArbeiterInnen konnten sich überzeugen, dass sie in der Lage waren, Entlassungen zu verhindern – genauso konnten sie auch die Schließung der Fabrik verhindern, die wenige Monate später angekündigt wurde.
Was unterscheidet Zanon von anderen Betrieben in Argentinien, die 2001 besetzt wurden?
Wir wollten nie nur eine auf sich allein gestellte Kooperative werden. Statt dessen forderten wir immer die Verstaatlichung der Fabrik unter ArbeiterInnenkontrolle. Außerdem haben wir eine landesweite Bewegung von “zurückeroberten” Betrieben initiiert, innerhalb derer wir für die Perspektive der Verstaatlichung eingetreten sind. Unser Leitspruch war “Zanon gehört der Bevölkerung”, um zu unterstreichen, dass die Fabrik nicht unser Eigentum war, sondern wir sie in den Dienst der Bevölkerung stellen wollen, vor allem in Hinsicht auf den Bau von Sozialwohnungen.
Wir haben uns mit der Bewegung der Erwerbslosen verbunden, die uns vor allem während der Räumungsversuche verteidigt haben. Wir konnten eine erhebliche Produktivitätssteigerung erreichen und dadurch 170 neue Arbeitsplätze schaffen, die an GenossInnen aus der Erwerbslosenbewegung gingen. Wir haben uns mit der indigenen Gemeinschaft der Mapuche über den Abbau von Tonerde verständigt. Die örtliche Universität hat uns bei der Planung der Produktion geholfen. Wir haben gemeinsam mit kämpferischen Gewerkschaftsgruppen im ganzen Land die Zeitung Nuestra Lucha (Unser Kampf) herausgegeben. Wir wollten von vornherein nicht nur uns selbst retten oder ein “Inselchen des Sozialismus” schaffen. Zanon ist ein Schützengraben des Klassenkampfes.
Wie ist die Lage im Moment?
Es ist oft schwierig für uns als Gewerkschaft, weil immer wieder versucht wird, uns ArbeiterInnen eine Gehirnwäsche zu verpassen, damit wir die Gesetze der AusbeuterInnen anerkennen und das Privateigentum nicht in Frage stellen. Durch den Kampf haben die KollegInnen aber verstanden, dass das Entscheidende nicht das Gesetztesblatt ist, sondern das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen.
Nach zehn Jahren des Kampfes hat die Regierung der Provinz Neuquén im August 2010 beschlossen, die Fabrik zu enteignen. Das war unser Erfolg, denn mit unserem Protest haben wir die bürgerlichen Institutionen in Zugzwang gebracht.
Was ist das Ziel Ihrer Europa-Reise?
Wir haben stets den proletarischen Internationalismus verteidigt und ihn auch in den Statuten der Gewerkschaft der KeramikarbeiterInnen und -angestellten Neuquéns (SOECN) festgeschrieben. Im gegenwärtigen Moment der Krise in Europa erschien uns der Austausch zwischen ArbeiteraktivistInnen besonders wichtig. In Barcelona und Paris konnte ich nicht nur auf großen Veranstaltungen sprechen, sondern auch ArbeiterInnen bei PSA und Goodyear besuchen, die gerade gegen Entlassungen kämpfen. Diese Woche spreche ich auf mehreren Veranstaltungen in Athen und besuche auch die besetzte Metallfabrik in Thessaloniki, die seit mehreren Monaten unter ArbeiterInnenkontrolle steht. Am Samstag bin ich schließlich in Berlin. Wenn unser Kampf andere inspirieren kann, dann ist unsere Wette aufgegangen.