Arbeitskämpfe um Selbstverwaltung in Griechenland
Die Faust zum Gruß
Der erste Mai – Kampftag der Arbeiterbewegung – oder heute in Deutschland oft nur noch Tag der Arbeit genannt. Zu diesem Anlass reisten Delegierte aus griechischen Projekten nach Deutschland, um über ihre Kämpfe und die Situation in Griechenland zu berichten. Dabei sind unter anderem ehemalige MitarbeiterInnen des staatlichen Rundfunk- und Fernsehsenders Elliniki Radiofonia Tileorasi (ERT), die neu gegründete Genossenschaft H Efimerida ton Syntakton (Zeitung der Redakteure) und Arbeiter der besetzten Baustofffirma »Viomichaniki Metallevtiki« (vio.me).
Der staatliche Rundfunk-und Fernsehsender ERT wurde Juni 2013 durch Entscheidung des griechischen Ministerpräsidenten Samaras geschlossen, 2700 Angestellte wurden arbeitslos. Bereits im Juli 2011 verfügte die Verlagsleitung der größten linksliberale Zeitung »Eleftherotypia«einen Zahlungsstopp aller Angestelltengehälter. Die Arbeiter von vio.me saßen auch 2011 plötzlich ohne Arbeitgeber und Lohn da. Ihre Arbeitgeber waren auf Grund der Insolvenz der gesamten Firma untergetaucht. Zurück geblieben sind die Menschen. Sie kämpfen nicht nur um ihre Arbeitsplätze, sondern um die Hoffnung auf ein gutes Leben. Die Erkenntnis, die sie im Zuge der Krise für sich gewonnen haben, bringt Dimitris Koutamatsioulis von vio.me auf den Punkt:»Wir müssen selber kämpfen, wenn wir Siege erringen wollen.« Genau das taten sie.
Die Redakteure von ERT besetzten die Sender und senden immer noch. Die ehemaligen MitarbeiterInnen der linksliberalen Zeitung »Eleftherotypia« gründeten eine Genossenschaft und somit ihre eigene Zeitung, die »Zeitung der Redakteure«. Die Arbeiter von vio.me besetzten ihre Fabrik und begannen den Kampf um eine staatliche Anerkennung ihres Betriebes als Selbstverwalteten Betrieb.
Griechenland
Die Solidarität, die die Europäische Union ihnen angedeihen lässt, scheint eher die Unterstützung der griechischen Elite zu sein, denn eine tatsächliche Hilfe für die griechische Bevölkerung. Der griechische Staatsbesitz wird nach dem Willen der Europäischen Union ausverkauft. Die Berliner Griechenland-Solidaritätsgruppe fasst auf ihrer Internetseite one-struggle.net, in der Ankündigung zur Presskonferenz mit verschiedenen griechischen Projekten recht prägnant zusammen, wie die Lage ist: »In Griechenland geht es mit der Wirtschaft angeblich wieder ein wenig Berg auf, doch die Menschen merken nichts davon. 30 bis 40 Prozent der Griechen sind inzwischen ohne Krankenversicherung, 28 Prozent nach offizieller Zählung arbeitslos. Flächentarifverträge wurden verboten, Arbeiter und Angestellte haben meist nur noch individuelle Verträge. Löhne und Gehälter wurden um 30 bis 40 Prozent gekürzt, zum Teil sogar halbiert, und oft erst mit einigen Monaten Verspätung ausgezahlt. Wird gegen diese Zumutungen gestreikt, greift die Regierung inzwischen öfter auf Notstandsgesetze zurück.« Nicolas Tsimpidas von ERT sagt: »Der schwerste Kampf, den wir auszufechten haben, ist der Kampf um die Hoffnung.«
Verarmung und Entdemokratisierung sind die Folgen der Krisenpolitik der Troika. Die griechische Regierung regiert vor allem auf der Basis von Dekreten, es entscheiden zwei Minister, nicht das Parlament. Durch ein solches Dekret wurde auch der öffentlich-rechtliche Fernseh- und Radiosender ERT geschlossen. Berücksichtigt man die Zahlen, die von Xenia Kounalaki auf spiegel-online veröffentlicht wurden, hatte ERT ein eigenständiges Budget von 290 Millionen Euro, dass durch eine Haushaltsabgabe finanziert wurde, 200 Millionen Euro hat ERT nur ausgegeben – eine Gefahr, die Staatsfinanzen zu belasten, hätte damit nicht bestanden. Nicholas Tsimpidas, Radiosprecher bei ERT, sagt: »Ich weiß nicht, was schlimmer ist, dass wir zugelassen haben, dass unsere Regierung so etwas macht, oder dass wir uns der Illusion hingegeben haben, dass so etwas in Europa nicht passieren kann.« Er bezieht sich damit auf die Schließung von ERT und die Durchsetzung mit Hilfe der Polizei, trotz massiver Proteste.
Elliniki Radiofonia Tileorasi (ERT)
Für die MitarbeiterInnen von ERT ist die Situation aktuell am schwierigsten. Seit August halten sie eine Reihe von Sendestationen besetzt. Machi Nicolara erzählt: »Im August wurde der Sender endgültig geschlossen, wir haben jetzt April und wir sind immer noch da. Es kann aber nicht ewig so weiter gehen.« Sie erhalten alle keinen Lohn. Ihren eigenen Angaben zufolge zahlt die Regierung die Abfindungen nicht. Sie leben derzeit vom Arbeitslosengeld, von Solidaritätsfonds und individueller Unterstützung. Eine Reihe von KollegInnen, die bei anderen Sendern arbeiten, verzichten auf Teile ihrer Gehälter, um sie zu unterstützen. Es gibt auch Lebensmittelspenden für die ehemaligen MitarbeiterInnen von ERT, denn es fehlt an allem. »Manche unserer Kollegen haben nicht einmal Strom zu Hause« sagt Nicholas Tsimpidas. Von den ursprünglich 2700 Angestellten befinden sich immer noch 700 im Streik.Sie halten weiterhin achtzehn Gebäude besetzt. Ihre selbst gewählte Struktur ist die Selbstverwaltung. Es gibt keine Chefredakteure mehr bei ERT, sondern Gruppen, die zusammen beraten, welche Nachrichten gesendet werden, sowie einige Koordinationsgruppen. »Selbstverwaltung ist so schwierig, wie es schön ist. Man braucht Verrücktheit, einen kühlen Kopf und Beharrlichkeit.«sagt Nicolas Tsimpadi. Sie alle hatten vorher keine Erfahrung mit selbstverwalteten Strukturen, so wie es auch bei den Arbeitern von vio.me war. Jetzt will Nicolas Tsimpidas sie auf gar keinen Fall mehr missen. »Wir haben jetzt einen engen Kontakt zu unserem Publikum, weil wir über Themen berichten, über die sonst niemand berichtet. Unser Publikum weiß, dass wir uns geändert haben, dass wir Nachrichten nicht manipulieren.«
Wie viele ZuhörerInnen und ZuschauerInnen sie täglich haben wissen sie nicht. Nur über ihre Internetseite können sie Angaben machen. Es sind 500 000 Aufrufe pro Tag. Ihr Ziel ist die Wiederzulassung von ERT, aber nicht in der Form des alten Senders, sondern mit der neuen Struktur der Selbstverwaltung.
H Efimerida ton Syntakton – Die Zeitung der Redakteure
Bei der neu gegründeten Genossenschaft der »Zeitung der Redakteure« kann aktuell immerhin allen Beschäftigten 800 Euro im Monat ausgezahlt werden. Ihr nächstes Ziel ist eine kontinuierliche Auflage von täglich 10 000 verkauften Exemplaren und bei der Wochendausgabe 15 000. Diese Auflagen können sie nicht immer erreichen. »Die Menschen sind so arm, dass sie sich oft nicht die 1,30 Euro für die Zeitung leisten können.« erklärt die Redakteurin Aphrodite Tziantzi. Hinzu kommt, dass gerade die jüngere LeserInnenschaft eher die online-Ausgabe nutzt, die ab 19.00 Uhr kostenlos ins Netz gestellt wird. Was jetzt ganz gut aussieht, war es zu Beginn nicht, die Verlegerin der »Eleftherotypia«, Mania Tegopoulou, hatte Ende des Jahres 2011 Insolvenz angemeldet. In einem Interview mit der jungle world berichtet der Chefredakteur der Zeitung der Redakteure, Stamatis Nikolopoulos, dass »die Besitzerin die Anwendung von Artikel 99 des Konkursgesetzes verlangt hat.« Die Interviewerin Chrissi Wilkens erläutert in einer Anmerkung das Gesetz: »Lohnabhängige gelten dann als Gläubiger des Unternehmers, dieser muss ihnen so den geschuldeten Lohn nicht zahlen.« Für die Redakteure war nicht zu erwarten, noch einen Pfennig von ihrer ehemaligen Arbeitgeberin zu bekommen. Sie gründeten eine Genossenschaft. Alle, die sich an der Zeitung der Redakteure beteiligen wollten, mussten 1000 Euro aufbringen und zwei weitere Monate auf einen Lohn verzichten. Ob sie sich als Zeitung etablieren könnten war ungewiss.
Viomichaniki Metallevtiki - vio.me
Gleiches gilt für vio.me. Auch hier kämpfen die Arbeiter seit 2011 um ihre Arbeitsplätze. Doch auch sie wollen keinen neuen Investor und haben sich für die Struktur der Selbstverwaltung entschieden. Seit 2011 werden alle betrieblichen Entscheidungen durch die Vollversammlung getroffen, alle in der Fabrik verdienen das Gleiche. Parallel zum Kampf um die Legalität ihres Betriebes, bauten sie sich vielfältige Solidaritätsstrukturen auf und entwickelten eigene Produkte. Jetzt stellen sie keine Baustoffe mehr her, sondern biologisch abbaubare Reinigungsmittel. Um die Zeit ohne Löhne überstehen zu können, arbeiteten nur die in der Fabrik, die anderswo keinen Job fanden. Außerdem konnten sie im Zuge der Solidaritätswelle auf Spenden zurück greifen. Trotz ihres legalen Status ist für sie der Kampf nicht beendet. Geht es nach den Arbeitern von vio.me muss es viele vio.mes geben. Dafür reisten sie durch ganz Europa, um von ihrer Situation zu berichten und Gleichgesinnte zu finden. »Wir müssen vom Ego zum Wir kommen«, sagt Dimitris Koutamatsioulis und betont darüber hinaus: »Wir wollen keine Kapitalisten sein, wir wollen ohne Druck und ohne Chefs leben, Vertrauen zu den Menschen haben können und nicht in Konkurrenz zu ihnen stehen.«
Was alle drei Projekte verbindet, ist die Selbstverwaltung. keine Chefs mehr, die um den Lohn betrügen, keine Chefs mehr, die vorschreiben über was berichtet werden darf und was nicht. Keine Chefs mehr, die nur an sich selbst interessiert sind. Der Kampf aller Projekte ist nicht der um ein besseres Gehalt, sondern darum überhaupt finanzielle Mittel zu erwirtschaften. Ihr Kampf ist notwendig geworden durch eine völlig verfehlte Politik, die zum umdenken nicht in der Lage ist. Die Auswirkungen des neoliberalen Europas sind deutlich. Vio.me und die Zeitung der Redakteure hatten eine Grundlage, auf die sie bauen konnten. Ihr eigenes kollektives Handeln hat sie vor einem völligen Absturz in die Armut bewahrt, es ist nun genau diese Erfahrung, die sie weiter geben wollen. Die ehemaligen Beschäftigten von ERT haben diese Grundlage auch, ob sie es schaffen, ihren Sender zurück zu erobern, bleibt vorerst offen. Machi Nicolara von ERT sagt: »Wir werden von unserer eigenen Entschlossenheit überrascht, wir versuchen Zuschüsse zu bekommen, um ERT neu entstehen zu lassen.«
Weitere Informationen: one-struggle.site36.net