Annelies Laschitza: Die Liebknechts. Karl und Sophie - Politik und Familie

Rezension von Ralf Hoffrogge

Annelies Laschitza:  Die Liebknechts. Karl und Sophie - Politik und Familie

Angesichts zahlreicher Vereinnahmungen und Legendenbildungen um die Figur Karl Liebknechts ist Laschitzas Biographie des Antimilitaristen, Revolutionärs und Mitbegründers der KPD ein begrüßenswertes Unternehmen. Die Autorin stützt sich auf einzigartiges Quellenmaterial, unveröffentlichte Archivfunde, Briefwechsel und persönliche Gespräche mit Liebknechts zweiter Frau Sophie. Ein deutlicher Schwerpunkt des Buches liegt daher im Privatleben Liebknechts, einem bisher wenig beachteten Bereich.

Dabei kommen Tatsachen ans Licht, die mit der Legende Liebknecht durchaus unverträglich sind. So wenig wie Marx und viele weitere "Große Männer" der Arbeiterbewegung konnte oder wollte Karl Liebknecht sich von patriarchalen Familienformen seiner Zeit lösen. Seine Frau Julia führte den Haushalt, kümmerte sich um die Familie und die private Sphäre. Die öffentliche und politische Arena war dem Politiker Liebknecht vorbehalten. Nur durch die als selbstverständlich hingenommene familäre Rückendeckung war es überhaupt denkbar, dass er gleichzeitig als Berliner Stadtverordneter, als Abgeordneter des Preußischen Landtages sowie als Reichstagsmitglied politisch aktiv werden konnte.

Trotz (oder gerade wegen?) dieser selbstlosen Aufopferung seiner Frau verliebte sich Liebknecht später leidenschaftlich in die junge russische Kunststudentin Sophie Rhyss und unterhielt jahrelang eine Affäre mit ihr. Julia Liebknecht, isoliert und doppelt vernachlässigt, musste zurückstehen nicht nur hinter der Politik sondern auch im Privaten. Ihr Tod erscheint schließlich als grausamer Ausweg eines blockierten Lebens, durch Karls Heirat mit Sophie Rhyss wurde nach notdürftigem Abwarten des Trauerjahres schließlich das bürgerliche Familienideal wieder hergestellt.

Leider unterlässt es die Autorin, dieses private Drama gesellschaftlich auszudeuten. Warum konnte ein Mann wie Liebknecht, Vorkämpfer einer Partei, die für Frauenwahlrecht und Emanzipation auftrat, erklärter Gegner der bürgerlichen Gesellschaft, sich letztlich doch nicht von deren Moralvorstellungen lösen? Ist es Hilflosigkeit oder Unwille, wenn wir in Biographien der Vorkämpfer der Arbeiterbewegung immer wieder auf solche Muster stoßen? Diese Frage ist zwar anhand einer Einzelbiographie nicht zu beantworten. Auch hätte es wenig Sinn, den 1871 geborenen Liebknecht an den Maßstäben der 1968er Generation zu messen. Dennoch hätte es sich hier geradezu aufgedrängt, am Beispiel Liebknecht die Spannung zwischen öffentlichem Emanzipationsanspruch und unsichtbaren privaten Unterdrückungsverhältnissen zu untersuchen. Material dazu wäre vorhanden gewesen, wenn auch der Briefwechsel von Julia und Karl Liebknecht nicht überliefert ist. Leider findet diese Auseinandersetzung nicht statt; das Verhältnis von Liebknecht und einen zwei Frauen erscheint als rein  privates Drama, nicht als Facette gesellschaftlicher Verhältnisse.

Im politischen dagegen wird die Reibung Liebknechts mit der bürgerlichen Gesellschaft explizit gemacht. Ausführlich schildert Verf. Liebknechts politische Arbeit in verschiedenen Wirkungskreisen. Dabei tritt so einiges zutage, was uns auch heute noch anregen kann - etwa sein Engagement als Anwalt und Parlamentarier, der sich auch und gerade bei Themen wie Mietrecht, Kommunalreform, Wohnungsfrage bis hin zum "Fortfall der Fahrrad- und Kinderwagensteuer" engagierte. Diese Verbindung von mühsamer und durchaus reformistischer Kleinarbeit bei ungebrochen revolutionärer Einstellung im Ganzen ist wohl das eigentlich Bewundernswerte an Liebknecht. Leider sind jedoch in diesem Teil die Kontexte oft nicht ganz klar oder werden erst verspätet nachgeliefert - wie etwa in der Beschreibung von Liebknechts Kampf gegen die "Internationale der Rüstungsindustrie". Hier wird immer wieder von seiner aufrechten Aufklärungsarbeit berichtet, viele Details werden referiert, ohne einmal kurz und klar die eigentliche Bedeutung der genannten Entdeckungen und Skandale darzustellen. Ebenso fehlt eine Einschätzung der tatsächlichen Rolle der Rüstungsindustrie beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges. In einem Nebensatz versteckt findet sich der Hinweis auf einen weitaus größeren Skandal: Die Zustimmung der SPD zur "Wehrbeitragsvorlage" des Jahres 1913. Hier stimmte die sich marxistisch nennende Sozialdemokratie der Einführung einer explizit zur Rüstungsfinanzierung bestimmter Steuervorlage zu. Diese den Weg in den Abgrund des Weltkrieges vorbereitende Entscheidung wird zwar benannt, aber nicht gedeutet.

Diese Beispiele zeigen, wie mit der Konzentration auf die Person Liebknecht die strukturelle Entwicklung der Sozialdemokratie zumeist ausgeblendet wird. Solch ein methodischer Individualismus ist natürlich immer eine Gefahr des biographischen Ansatzes. In diesem Fall ist er jedoch besonders ärgerlich. Denn Karl Liebknecht ist die zentrale Figur in jener historisch folgenreichsten Spaltung der Arbeiterbewegung. Weder sein Leben noch sein Tod sind zu verstehen ohne wenigstens einige Reflexionen über die Geschichte der Sozialdemokratie als ganzer anzustellen. -- Trotz der oft fehlenden Kontexte ist diese Biographie insgesamt nicht nur enorm materialreich und detailliert, sondern auch überwiegend fesselnd geschrieben. Die Darstellung liefert den interessierten Laien einiges an Denkanstößen, mit denen sie sich selbst ein eigenes Bild jenseits der Legende bilden können. Und Fachhistoriker und Historikerinnen kommen ebenfalls nicht herum um diese bisher aktuellste Gesamtdarstellung der Person Karl Liebknecht.

 

Annelies Laschitza: Die Liebknechts. Karl und Sophie - Politik und Familie. Aufbau-Verlag, Berlin 2007, 511 Seiten, gebunden, 24,95 Euro.